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Der große Auftritt oder: wie ich mich im argentinischen Slum verlief

Buenos Aires La Boca gefährlich verlaufen

Ich weiß, in letzter Zeit ist es ein bisschen still um meinen Blog geworden, aus verschiedenen Gründen. Aber jetzt geb ich wieder Vollgas.

Gestern zum Beispiel, da war es sehr…sagen wir…interessant. Eigentlich wollte ich mich nur mit einem Kumpel in der Kulturfabrik Usina del Arte treffen, um eine Austellung zu besuchen. Das alte Fabrikgelände befindet sich im Herzen von La Boca, oder sagen wir besser (da Herz so positiv klingt) A… von La Boca. Ein kurzer Blick auf die Karte vorm Losgehn sollte eigentlich reichen. Ich kann ja notfalls jemanden fragen.

Lost in La Boca – tendenziell keine gute Idee

Es kam wie es kommen musste: Ich habe mich verirrt. Ja, grundsätzlich nichts Neues, nur sollte man sich gerade in La Boca auch am hellichten Tag nicht verirren. Oder krasser gesagt: Man sollte eigentlich gar nicht erst einen Meter durch La Boca laufen (ausgenommen die zwei Touristenstraßen, wo die Caminitos sind). Mein Chef meinte aber, das sei kein Problem und empfahl mir die besten Buslinien. Meine Route vom Colectivo zur Usina war laut Google Maps ebenfalls sehr kurz und es machte alles einen sehr zentralen Eindruck. Bis ich ankam.

Streunende Hunde, abgrebrannte Autos – was für eine Atmosphäre

Ich schlendere also in Richtung Usina, zumindest glaubte ich das und wie sich später herausstellte, lag ich am Anfang sogar tatsächlich richtig. Ein paar heruntergekommene Fassaden, bunt und pastellfarben, strahlender Sonnenschein. Auf den ersten Blick eine ganz besondere Atmosphäre. Staubige Straßen, Ruhe, zwei Kinder spielen Fangen. Doch je näher ich dem Hafen komme, desto staubiger werden die Straßen, ein kleiner Junge klettert in einem Autowrack herum, kaum eine Menschenseele zu sehen.

Kleine Rudel streunender Hunde wuseln durch die Straßen, eine Dreiergruppe zerzauster Köter rennt auf mich zu bellt und umkreist mich, überall liegt Hundekot. Ich gehe unbeeindruckt und selbstbewussten Schrittes voran. So zu tun, als wüsste man wo es langgeht, das kann ich mittlerweile ganz gut. Karte rausholen wäre nicht so gut gekommen (deshalb sind in diesem Beitrag auch keine Fotos, weil ich meine Kamera ganz gerne behalten wollte. Achja, passenderweise hatte ich vorher auch noch ganz viel Geld abgehoben, ich schlauer Fuchs).

Aus Asphalt wird Schlamm, das volle Programm

Ich rufe meinen Kumpel an, sage ihm wo ich bin und frage, wie ich zur Usina komme – alles natürlich auf Spanisch, Missverständnisse vorprogrammiert. Mein Handyakku ist fast leer, er sagt mir den Straßennamen und tatsächlich, nach zwei Blocks komme ich an der „Straße“ an.

An den Hausfassaden sind Straßenschilder angebracht, auf dem der Straßenname steht. Schön und gut, doch alles was ich sehe ist ein halb schlammiger, halb staubiger total verkommener Boden unterhalb einer riesigen Autobahnbrücke. Ich schaue nach links: ein marodes, heruntergekommenes Hafenbecken, ich schaue nach rechts: Baracken, aus denen sich mit der Zeit Elendsviertel gebildet haben. Ich halte Ausschau nach einem Taxi, das mich zur Usina fährt, während ich weiter vorangehe. Nichts, kein Taxi. Das einzige was hier ab und zu Mal vorbeifährt sind Autos mit getönten Scheiben. Ich halte Ausschau nach einem Laden, Restaurant, Kiosk, irgendetwas wo man reingehen kann, um zu fragen. Nicht wirklich.

Einmal die verlassene Hafenanlage, bitte

Jetzt habe ich die Wahl zwischen Pest und Cholera: links den schmalen, aber zumindest asphaltierten Weg am Hafenbecken entlang, oder rechts unter der Autobahnbrücke quer durch das Slum. Ich entscheide mich für’s Hafenbecken und erinnere mich an die belustigten Worte meines Chefs: „Achja, das ist dann total witzig, denn die Säulen der Autobahnbrücke stehen einfach so im Weg rum, sodass die Autos Schlangenlinien fahren müssen.“ Nun, irgendwie fand ich das dann nicht mehr ganz so witzig. Ich rufe erneut meinen Kumpel an, er sagt er kommt zur Ecke so und so, dann auf einmal: Akku leer.

Während ich am Hafenbecken entlangschlendere, merke ich so ziemlich bald, dass alles um mich herum abgesperrt ist, außer der Eingang, durch den ich gekommen bin. Also drehe ich nach zehn Minuten Laufen wieder um und erblicke auf einmal..tadaaa, ein Gebäude, das sogar ansatzweise offiziell aussieht. Sofort husche ich rein und stelle fest, dass ich bei der Marinepolizei gelandet bin. Wie schön, super! Ich frage nach dem Weg. Wie ich denn hierhin gekommen sei. Ja, mit dem Colectivo 29. Waaas, du bist den ganzen Weg hier durch gelaufen! Das ist ein bisschen gefährlich. Ach, wirklich, hmm, das ist mir vielleicht sogar dann auch ein kleines bisschen aufgefallen.

Ich cruise mit der Police

Lange Rede, kurzer Sinn: Ab mit mir ins Polizeiauto und höchstpersönlich wurde ich von den netten Herren zur Usina gefahren. Die war übrigens höchstens, allerhöchstens zwei Fahrminuten entfernt. Aber wie dem auch sei, ich hatte zumindest einen recht pompösen Auftritt vor der Kulturfabrik und verabschiedete die Polizisten in großer Dankbarkeit mit High-Five. Das war also das erste Mal in einem argentinischen Polizeiauto. Recht komfortabel, schreit aber nicht nach Wiederholung. Mit dem Polizeiboot wäre es natürlich auch recht schick gewesen.

Ich muss aber dazusagen, dass es während meines kleinen Spaziergangs keinerlei brenzlige Situationen oder sonst etwas gab, sprich, es hat mich niemand  angesprochen oder gar angepöbelt. Ich schien glaub ich wenn dann einfach (optisch) ein bisschen Fehl am Platz, aber das  bin ich mittlerweile ja gewohnt. Man sollte immer vorsichtig sein, aber nicht ängstlich. Buenos Aires ist ziemlich sicher, das werde ich auch weiterhin so vertreten. Doch ich bin froh, dass ich auf diese Art und Weise gelernt habe, nie zu vergessen, dass es immer zwei Seiten der Medaille gibt.

 

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