Der folgende Text ist das Ergebnis einer meiner Recherchen für die dpa in Buenos Aires.
Wenn ein Foto über das Internet von Argentinien ins Nachbarland Chile geschickt wird, so begibt es sich auf eine lange Reise. Denn anstatt die direkte Route zu nehmen, macht es einen 10.000 km langen Umweg über Miami, um schließlich bei seinem Empfänger in Chile zu landen. In Lateinamerika gehen knapp 90 % aller im Internet versendeten Daten über diesen Knotenpunkt in den USA. Das will ein neues Projekt von Unasur (Union Südamerikanischer Nationen) nun ändern: ein eigenes Kabelnetz soll die Abhängigkeit vom US-Internetmarkt und die damit einhergehenden langsamen und teuren Verbindungen beenden.
Lateinamerika – internettechnisch weiterhin von Miami abhägnig
Die Kosten für das Internet in Lateinamerika sind zu Zeit ungefähr dreimal so hoch wie in den USA. Trotzdem ist der Datenweg über Miami immer noch die kostengünstige Route. Europa und Asien haben sich durch den Aufbau zusätzlicher regionaler Leitungen aus dieser Abhängigkeit befreien können. So sank beispielsweise die Frequenz der Verbindung London – New York zwischen 2005 und 2011 von 46% auf 30%. Lateinamerika bleibt bis heute der einzige Kontinent, der weiterhin von der US-amerikanischen Netzkapazität abhängig ist. Dabei hat sich gerade dort in den letzten Jahren der am größten wachsende Internetmarkt der Welt entwickelt. Rund 12% Zuwachs sind jährlich zu verzeichnen.
So groß die Internetcommunity mittlerweile auch sein mag, sobald es Probleme in der Zentrale in Miami gibt, bricht das komplette lateinamerikanische Netz zusammen. Dabei macht es keinen Unterschied, welchen örtlichen Anbieter man wählt. Denn viele lokale Anbieter, wie beispielsweise Fibertel, Telmex und Telefonica in Argentinien, benutzen alle die gleiche Hauptleitung, betrieben von GlobalCrossing in Miami. Hinzu kommt, dass Daten in den USA abgefangen und gespeichert werden können.
Doch ist der Datentransfer über die USA überhaupt ein Problem? Sebastian Bellagamba von der Internet Society in Motevideo sieht die Lage weniger kritisch. Seiner Meinung nach muss der Kontinent zumindest für den internationalen Datenverkehr weiterhin an Miami gekoppelt bleiben. Er betont, dass es bislang keine schnellere und günstigere Alternative gibt.
Ein 10 Mio. Kilometer langes Glasfasernetz soll helfen
Unasur garantiert mit seinem Projekt jedoch eine sicherere und günstigere Verbindung. Dafür soll ein 10 Mio. Kilometer langes Glasfasernetz aufgebaut werden, dass die Regionen unetreinander und über den Atlantik verbindet. Das Netz soll dann von den Telekommunikationsfirmen der jeweiligen Länder betrieben werden. Dem Vorhaben stehen jedoch zwei wichtige Faktoren im Weg, wie Analía Aspis, IT-Rechtsexpertin an der Universität Buenos Aires, betont: „Um die Zukunft des Internets in Lateinamerika zu gestalten, müssen zunächst finanzielle und strukturelle Probleme behoben werden. Solange es da keinen gemeinsamen Standpunkt der Länder gibt, sind solche Projekte nur schwer umzusetzen.“
Bisher kaum Breitbandnetze in entlegenden Regionen
Naturkatastrophen, wie das Erdbeben in Chile 2015, können eine der beiden einzigen regionalen Verbindungen schnell lahm legen – und Alternativen gibt es nur wenige. Hinzu kommt, dass in vielen Regionen noch alte Kupferleitungen verwendet werden. Städte und Dörfer in entlegenen Gebieten müssen oft tagelang warten, bis Probleme im internationalen Netzwerk wieder gelöst sind. Auch die Interamerikanische Entwicklungsbank zweifelt noch an den Umsetzungsplänen. Ihrer Meinung nach ist der Ausbau des Breitbandnetzes in einigen Ländern noch viel zu gering. Im Durchschnitt gibt es sieben Breitbandlinien pro 100 Einwohner, im Vergleich dazu sind es in den OECD-Ländern mehr als 25 Verbindungen pro 100 Einwohner.
Unterschiedliche Interessen, zu wenig Beteiligung
Hinzu kommt, dass es den Ländern nur schwer gelingt, einen gemeinsamen Standpunkt bezüglich Finanzierung und Umsetzung des Projekts zu finden. Das Projekt von Unasur erfordert eine nötige Investition zwischen 100 – 150 Miliionen USD. Doch bisher sind sich die Länder noch uneinig darüber, wie sie das Internet am besten etablieren und weiterentwickeln können. Staaten wie Kolumbien und Brasilien verfolgen ihre eigenen Projekte, um sich einen besseren Zugang zum inernationalen Datennetz zu verschaffen und stellen somit eine Konkurrenz zum Unasurprojekt dar.
Auch die Beteiligung lateinamerikanischer Staaten an internationalen Gipfeln, wie zuletzt dem NetMundial in Brasilien oder den Sitzungen des Internet Governance Forums, spiegeln das Desinetresse und die Uneinigkeit wider. Zwar betont Olga Cavalli, Leiterin der Schule für Internet Governance in Trinidad un Tobago, dass bei der NetMundial viele Delegationen aus Lateinamerika teilgenommen haben, doch sie räumt auch ein, dass an den Internet Governance Foren die Teilnahme verschwindend gering war. Ihre Begründung: Weit enfernte Veranstaltungsorte der Foren. Enrique Chaparro, Vorsitzender des Vereins Via Libre in Buenos Aires, betont, dass nur ein offener Dialog und eine erhöhte Informationsweitergabe an die Bürger dazu beitragen kann, die Uneinigkeit abzuschwächen und das Interesse aller Beteiligten zu steigern.