Bolivien hat allerhand vorzuweisen. Ein paar Rohstoffe, bezaubernde Landschaften und eine ganze Menge an Höhenmetern. Daher ist es nicht verwunderlich, sondern eigentlich ganz normal, dass die Höhe einige Besucher erst einmal für ein paar Tage außer Gefecht setzt. In Tupiza sind wir zunächst auf Skifahrgebiet-Höhe. Doch das soll sich die nächsten Tage ändern. Für vier Tage geht es in die größte Salzwüste der Welt: Uyuni. Und die liegt an einigen Stellen knapp 5000 Meter über dem Meeresspiegel. Vier Tage in einer Wüste, das klingt karg. Vier Tage in einer Wüste, das bedeutet: kaum Strom, kein fließend Wasser und erst recht keinen Handyempfang oder gar Internet. Vier Tage Wüste – das klingt nach Abenteuer.
Mit dem Jeep geht es quer durch die bolivianischen Anden
Coca ist in Bolivien King
Der frühe Vogel hatte wieder einmal zugeschlagen und reißt uns aus den Federn. Unser Jeep steht schon bereit, mit dem wortkargen Fahrer Ramil, der quirligen Köchin Isabel und zwei weiteren Mitstreitern aus Australien (der Rest der Australiergruppe war im anderen Jeep, denn ein Australier kommt selten allein). Los geht’s. Naja, zumindest theoretisch, denn alle fünf Minuten wird angehalten, Isabel hat vergessen, noch das ein oder andere für ihre Gerichte einzukaufen. Durch staubige Straßen (in Bolivien gibt es äußerst viel Staub) geht es ab in die Berge, höher und höher. Ab jetzt werden die kleinen grünen, magischen Coca-Blättchen aus der Tasche gezaubert und Cocapillen geschluckt. Cocablätter betäuben den Mund und machen ein bisschen high. Denn aus Cocablättern wird – na? Genau! Kokain gewonnen. Die Ausfuhr der Blätter ist daher auch verboten. Achso, natürlich helfen sie in erster Linie gegen die Höhenkrankheit. Sagt man zumindest. Aber auch der Placeboeffekt hat bei mir äußerst gut gewirkt. Denn auf der Höhe überanstrengt jede kleinste Bewegung den Körper. Beim Rennen bleibt einem wortwörtlich die Luft weg. Aber vielleicht liegt das ja auch an der atemberaubenden Landschaft?
Irgendwo im Nirgendwo – mit ein paar Lamas
Die Straße wird zur Schotterpiste, hin und wieder stehen ein paar fluffige Lamas im Weg. Alle von ihnen haben bunte Bommel am Ohr, so lassen sie sich ihren Besitzern zuordnen. Wir kommen nach einer mehrstündigen Fahrt durchs Gebirge bei einer Häuseranreihung an, der Name des „Ortes“ ist mir leider entfallen. Hier darf man die „Baños Naturales“ (zu Deutsch: irgendwo weit weg in die Pampa gehen wo dich keiner sieht und dann auf Toilette gehen) benutzen und wir nehmen unser erstes Mittagessen ein. Alle sind wir erleichtert: Isabel kann wirklich ganz pasabel kochen.
Bolivianische Folklore – eine Frage des Geschmacks
Um uns herum wachsen die Gebirgszüge der Anden. Aus dem Radio ertönt bolivianische Pop-Folklore. Was ich mir am Anfang der Tour noch sehnlichst gewünscht hatte, verwandelt sich bereits nach dem vierten Lied in einen Alptraum. Oder war es das fünfte Lied? das Sechste? Arrgh, jedenfalls…bolivianische Pop-Folklore ist nicht so meins. War auch nicht so das, was die anderen hören wollten. Bolivianische Pop-Folklore, dafür nehme man eine kindliche, nasale Frauenstimme (diese ist in Bolivien, so hart es jetzt auch klingt, nicht besonders schwer zu finden), ein netter Beat, ein bisschen Panflöte und ganz wichtig, es muss mindestens 8000 Mal den Ausruf „Así“ enthalten, um das Publikum zu motivieren. Neidisch beäugeln wir die Gruppe des anderen Jeeps, die Bon Jovi hören dürfen. Ein Mitfahrer ruft spontan zu Ramil: „Ramil, Bon Jovi?“. Ramil stoppt schockiert den Wagen, dreht die Musik leiser, blickt umher und fragt „Qué?“ („Was?“). Ich bilde schnell ein paar vollständige Sätze, damit Ramil nicht denkt, es sei eine Katasrophe ausgebrochen. Nein, sagt er, er habe kein Bon Jovi auf seinem USB-Stick. Weiter gehts.
Zieh dich warm an, es wird Nacht in der Wüste
Es geht durch zugefrorene Flüße, bergauf, bergab, vorbei an semiaktiven Vulkanen, Gebirgsseen. Nach zehn Stunden Fahrt erreichen wir die erste Unterkunft. Man hat uns gewarnt, es wird kalt. Bis zu minus 20 Grad sind nachts möglich. Da geht doch noch was, denke ich mir, eingehüllt in Lamapulli, Lamaponcho, Lamasocken. Wir blicken in den allerschönsten Sternenhimmel. Irgendwie will ich das festhalten. „Man ey, du kannst das nicht fotografieren“ sagt mein Mitstreiter. Ich schaue auf das pechschwarze Foto und behalte den Himmel im Gedächtnis. Kalter Wind, keine Heizung, kein Licht. Gute Nacht.
Am nächsten Morgen heißt es wieder früh aufstehen. Die Rucksäcke und Schlafsäcke werden aufs Dach des Jeeps gepackt und dann geht es los, zu tausend mehr Seen und Bergen. Mittlerweile haben wir über Stille Post das Endergebnis des Spiels Deutschland-Frankreich mitbekommen. Nach zehnstündiger Verzögerung. An der ersten Lagune vollbringt mein Mitreisender ein Meisterstück. Wie in den alten Kindercomics schafft er es doch tatsächlich, im malerischen Eis des Sees einzubrechen. Unter der Eisschicht verbirgt sich eine wohlriechende schlammige Soße, und die Temperatur ist nicht tropisch. Zum Glück kann er schnell seine Klamotten wechseln und wird von Isabel gesegnet.
Lagune folgt Lagune, und angesichts des eiskalt peitschenden Windes sind wir verwöhnten Westler bald ein bisschen wählerisch, was das Aussteigen betrifft. Doch bei den heißen Quellen sagen auch wir nicht nein. Reinzugehen in die heißen Quellen ist bei den äußeren Minusgraden sehr schön. Rausgehen nicht so.
Heiße Quelle in den kalten Anden
Auf der Suche nach dem sexy Lama
Wir sehen viele Lamas, sogar ein paar hartgesottene Flamingos. Besonders ist die Unterscheidung der Lamas. Nach Ansicht der (männlichen) Bevölkerung gibt es hier wohl sexy Lamas und nicht so sexy Lamas. Sexy Lamas sind graziler und haben nicht so viel Wolle am Körper. Unsexy Lamas sind die, die fetter aussehen. Jaja, die Männeransichten, überall gleich irgendwie. Abends ist dann Poker angesagt. Ich gegen den Rest der Welt…Als Chips dienen kunterbunte M&Ms. Es ist eine Männerrunde und ich. Die Person, die am wenigsten von den Pokerregeln versteht, gewinnt. Also ich. Ich bekomme alle M&Ms.
Ein Meer aus Salz: Uyuni Salzwüste
Tausend Vulkane, mehr Steine, mehr bolivianische Pop-Folklore. Aber wo ist denn bitte das ganze Salz? Uns wird versprochen, dass wir die folgende Nacht in einem „Salzhotel“ verbringen werden – mit einer einzigen heißen Dusche. Die Freude steigt, eine Dusche! Während die Jungs eine Runde Fußball spielen, wärme ich mich etwas auf und lege mit meinem Fön fast das komplette Stromnetz lahm. Schon nach einer halben Stunde ist das Spiel gegen die Bolivianer beendet. Sie sind auf dieser Höhe einfach aus der Puste gekommen.
Der letzte Tag bricht früh morgens um 4 Uhr an. Wir wollen den Sonnenaufgang in der Salzwüste sehen, auf einer Kakteeninsel. Um uns herum wird es schneeweiß, nur Salzflächen, Salz an Salz in Fünfeckform. Ramil fährt einige Kilometer ohne Licht, wir sind komplett allein im Dunkeln. Der Sonnenaufgang ist herrlich. Man fühlt sich wie auf einer richtigen Insel im Meer, nur dass das Meer hier Salz ist. Unten wird das Frühstück unter freiem Himmel vorbereitet. Isabel hat einen Herzchenkuchen für uns gebacken. Wir fahren schnell weiter, denn eine Blockade in der Nähe unseres Endpunktes Uyuni ist angekündigt. Mal wieder eine Blockade.
Wir schaffen es vor der Blockade nach Uyuni. Hier tennt sich mein Weg vom Weg aller anderen. Sie wollen alle nach La Paz, aber mir geht das zu schnell. Ich will noch mehr sehen von diesem wunderschönen Land. Nach dem Essen schwinge ich mich mit meinem Gepäck in den nächsten Bus nach Potosí. Von dort aus will ich weiter nach Sucre. Im Bus merke ich sofort, dass ich alleine unterwegs sind, denn die Menschen kommen auf mich zu, um mit mir Fotos zu machen.
Ich schaue aus dem Fenster. Was mache ich hier eigentlich? Aber es tut so gut, mal ein paar Schritte alleine zu gehen. Alleine, in diesem atemberaubenden Land.
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