Der Brexit schmeckt nicht jedem – besonders wenn man eine kleine britische Überseekolonie im Süden Spaniens ist, die auf den wirtschaftlichen Austausch mit dem spanischen Festland angewiesen ist. 96 Prozent der Wahlberechtigten Gibraltars stimmten gegen den Austritt aus der EU. Wie ticken die Menschen in dem winzigen Felsenstaat?
Einmal übers Flughafenrollfeld, dann ist man in Gibraltar
Gibraltar klebt am untersten Zipfel Spaniens und ist an der engsten Stelle nur 14 Kilometer vom marokkanischen Festland entfernt. Von La Línea de la Concepción in Spanien läuft man über die Start – und Landebahn hinein in das kleine Gebiet mit seinen schroffen Felswänden und tausenden Äffchen. Manchmal muss man ein bisschen warten, wenn gerade ein Flugzeug landet.
Seit 1704 steht Gibraltar unter der Souveränität des Vereinigten Königreichs. Heute verwaltet sich das britische Überseegebiet weitgehend selbst, besitzt eine eigene Regierung und ein eigenes Parlament. Für die Bereiche Außenpolitik, Verteidigung und innere Sicherheit ist jedoch das Vereinigte Königreich zuständig. Obwohl Spanien Gibraltar 1713 offiziell abgetreten hat, fordert Madrid es regelmäßig zurück – zum Ärger der meisten Gibraltarer.
Doch jetzt auf einmal der Brexit – er würde Gibraltar hart treffen. Denn die Halbinsel ist auf die Personenfreizügigkeit innerhalb der EU angewiesen. Knapp die Hälfte der 24.000 Beschäftigten Gibraltars pendelt täglich zwischen Gibraltar und Spanien.
Muy British – oder nicht?
Gibraltar ist britische Überseekolonie. Also sprechen die Menschen dort Englisch, oder? Naja, ganz so einfach ist es nicht. Was die Geschäfts- und Arbeitswelt sowie den Verwaltungssektor betrifft, stimmt das – in diesen Bereichen spricht man Englisch. Auf der Straße und zu Hause überwiegt oft Spanisch. Aber die Gribaltarer haben auch ihren ganz eigenen Dialekt: Llanito. Eine Mischung aus Spanisch und Englisch. Da sich so viele Gibraltarer mit diesem Dialekt identifizieren können, werden sie selbst auch häufig „Llanitos“ genannt.
Llanito | Spanisch | Englisch |
bas | autobús | bus |
quequi (queki) | pastel | cake |
sory | disculpe | sorry |
antorcha | linterna | torch |
Braucht man also in Gibraltar kein Spanisch? Auf diese Frage hin antworteten uns zwei Drittel der Befragten, dass es äußerst wichtig wäre, Spanisch zu verstehen und besser noch, es auch zu sprechen – besonders wer in der Tourismusbranche arbeiten will.
Glaub doch, was du willst: In Gibraltar steht die Moschee neben der Synagoge
In ganz Gibraltar findet man Gotteshäuser unterschiedlicher Glaubensrichtungen, wie zum Beispiel die Moschee am äußersten Zipfel Gibraltars, etliche jüdische Synagogen, den hinduistischen Tempel in der Engineer’s Lane, aber auch diverse andere konfessionelle Ausprägungen wie die New Apostolic Church und die Gibraltar Methodist Church.
Die meisten Gibraltarer hoben hervor, dass dieser Reichtum an unterschiedlichen Religionen keineswegs zu Unruhen oder Unterdrückungen einzelner Gruppen führt, sondern dass die Religionsgruppen in Gibraltar gleichwertig nebeneinander existieren.
Pudding mit Chorizo
Auch bei den Traditionen lassen sich Vermischungen feststellen. So werden britische Feiertage zwar beibehalten, aber durch weitere Festlichkeiten anderer Kulturen ergänzt. Speziell im Bezug auf spanische Traditionen lassen sich stärkere Verbindungen zwischen Gibraltar und seinem Nachbarland feststellen, welche aber von den Gibraltarern immer noch vehement geleugnet werden.
Bei den Feierlichkeiten werden die unterschiedlichen Traditionen vermischt, genauso wie das Festtagsessen. So gibt es am Weihnachtsfeiertag sowohl englischen Pudding als auch spanische Chorizo oder Oliven. Darüber hinaus lassen sich auch marokkanische und sogar chinesische Einflüsse feststellen, insbesondere beim Lebensmittelangebot und bei der Zubereitung der Speisen.
Der Konflikt zwischen Spanien und Gibraltar
Die starke Abneigung gegenüber Spanien war in allen Interviews zu spüren. Auch auf Seiten der spanischen Bevölkerung konnten wir keine positiven Äußerungen gegenüber Gibraltar feststellen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Felsenstaat den umliegenden spanischen Dörfern, wie beispielsweise La Línea de la Concepción, die Arbeitskräfte wegnimmt. Die spanischen Pendler werden daraufhin in Gibraltar als Niedriglohnarbeiter eingesetzt.
Die Existenz einer gibraltarischen Identität kann nicht geleugnet werden. Dennoch ließen sich auf traditioneller Ebene immer wieder spanische Elemente finden. Auch die spanische Sprache war immer präsent und sogar die architektonische Ausgestaltung erinnerte oft an spanische Straßenzüge. Gibraltarer sind wohl spanischer, als sie es sich eingestehen wollen. Vielleicht auch gerade jetzt, mit dem Brexit vor Augen?
*Die Inhalte / Daten des Textes entstammen größtenteils aus einem gemeinsamen Studienprojekt mit meiner lieben Chrissy.
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