Schrappschrapp machte die Machete unseres Guides, als wir im Affenzahn durchs Gestrüpp rannten. Er hatte komplett die Orientierumg verloren – in der Dunkelheit des größten Urwaldes der Welt!
Aber beginnen wir von vorn.
Manaus, Brasilien. Eine graue Großstadt mitten im Regenwald. Hier gibt es nicht viel zu sehen – deshalb sind die vielen Flussgabelungen des Paraná de Mamori, ca. vier Stunden von Manaus entfernt, Schauplatz dieser Geschichte.
Aufbruch
Es war später Nachmittag. Wir verließen die Dschungel-Lodge, um mit dem Boot zu unserer ersten Nacht unter freiem Himmel im Dschungel aufzubrechen. Die enorme Luftfeuchtigkeit der Amazonasregion legte sich wie ein Film auf unsere Haut, es nieselte.
Wir schipperten durch die Flussarme und Schilfe des Mamori Flusses bis wir nach einer Stunde anlegten. Mit im Gepäck: Hängematten, Essen und vieeel Moskitospray! Wir schleppten alles ein Stück weit in den Dschungel hinein und schlugen unser Nachtcamp auf.
Unser Guide und sein Helfer formten aus riesigen Blättern kleine Schüsseln – für das Junglefood.
Kurz vorm Kentern
Wir – das ist eine bunt gemischte Gruppe aus einem Ami, zwei Israeli, drei Japanern und uns, die unterschiedlicher nicht hätten sein können – gingen zurück zum Boot und paddelten ein bisschen auf dem Fluss. Naja, es war eher so, dass die Guides uns schickten à la Geht doch noch ein bisschen spielen, Kinder.
Leider hatten wir nicht so die Skills und blieben beim Paddeln im Schilf hängen – just in dem Moment fing es an zu blitzen und donnern, und einer der Guides schrie uns vom weit entfernten Ufer und auf Portugiesisch zu, wie wir da raus kommen sollten. Öhm, ja, iiiirgendwann und etwas nass vom Regen haben wir es geschafft.
Wäre das alles gewesen…
Die Grillen zirpten, das Lagerfeuer brannte. Zeit für eine ganz kurze Nachtwanderung, 15 Minuten sollte sie dauern, befand unser Guide. Ich warf mich in mein langärmliges Outfit, das den Anschein machte, als ob ich als Anführer einer fremdartigen Sekte nach Brasilien gekommen wäre um zu missionieren. Aber alles besser als Mückenstiche!
Sonst nahm ich nichts mit. Kein Licht. Kein Wasser. Sind ja nur 15 Minuten ein paar Spinnen gucken.
Die wohl längsten 15 Minuten meines Lebens
Wir brachen auf, um uns herum lautes Zirpen, Vogelgezwitscher und viele andere undefinierbare Geräusche, über uns der Vollmond und unter uns – naja, man hoffte zumindest nicht allzu viele beißende Ameisen oder Spinnen. Die Luft war feucht und drückend, und unsere langärmligen Outfits machten es nicht besser.
Hier und da stoppte der Guide, um uns riesige Giftspinnen oder überdimensionale Ameisen zu zeigen (die sich übrigens auch durch Stoff und Haut beißen können uuuaaggh). Sein Helfer makierte mit seiner Machete einen Baum zur Orientierung. An der Stelle dachte ich mir noch: Also ich würde den Rückweg so ja nicht finden, aber die wissen ja was sie tun.
Die wissen ja, was sie tun…
Es ging immer weiter über Stock und Stein, über Tiere hinüber und unter Kletterpflanzen hindurch, am Fluss entlang, den Hügel rauf den Hügel runter, rechts, links, im Kreis. Mittlerweile war bestimmt schon eine halbe bis Dreiviertelstunde vergangen. Ich überlegte, ob ich den Guide einfach falsch verstanden hatte. Selbiger schwieg, erhöhte das Tempo und blickte sich kaum um. Der Schweiß lief wie Suppe runter und irgendwelche Dornen bohrten sich von unten durch meine Turnschuhe. Aber okay, Fakire schlafen ja auch auf Nagelbrettern, vielleicht ist ein bisschen Akkunpunktur gar nicht so schlecht.
Es gab eine andere Sache, die mich mehr beunruhigte.
Ich hatte am Anfang gedacht, dass der Helfer, der immer mit seiner Taschenlampe hektisch vorauseilte, auf der Suche nach außergewöhnlichen Tieren war. Doch das Tuscheln in der Gruppe nahm zu, Blicke wurden ausgetauscht, denn plötzlich wurde uns klar: Der Helfer suchte seine Markierungen. Wir hatten uns komplett verlaufen!
Anstatt weiterhin dem Ufer zu folgen, um nach unserem Boot Ausschau zu halten (wir waren wohl auf einer großen Insel), schlug der Guide plötzlich mit der Machete einen Weg ins Landesinnere frei. Schrappschrapp machte die Machete unseres Guides, als er im Affenzahm durchs Gestrüpp rannte – wir hinterher. Er hatte komplett die Orientierumg verloren – in der Dunkelheit des größten Urwaldes der Welt!
Die Klamotten waren mittlerweile komplett nass und fingen gefühlt an sich aufzulösen. Im Sauseschritt betraten wir Land, das wahrscheinlich noch nie oder schon sehr lange nicht mehr betreten wurde, dem Schrappschrapp der Machete zu urteilen.
Are we lost?
Hey, are we lost? rief jemand aus der Gruppe dem Guide zu. Der überging das und teilte mit, dass wir unser Licht nun ausmachen müssten, da wir durch ein Nest nachtaktiver Wespen gehen würden. Klingt absolut nach dem richtigen Weg dachte ich, während ich versuchte ein Dutzend Kletterpflanzen von meinem Oberteil zu reißen.
Wir waren uns mittlerweile alle sicher, dass der Guide nicht zugeben wollte, dass wir uns verlaufen hatten. Wir waren inzwischen bestimmt anderthalb Stunden statt der geplanten 15 Minuten unterwegs. Handyempfang gab es natürlich nicht. Internet schon einmal gar nicht. Die einzige Möglichkeit Hilfe zu rufen ist ein Satellitentelefon. Wer nimmt denn bitte ein Satellitentelefon mit? Der Guide anscheinend nicht.
Und dann zückte jemand das Satellitentelefon
Hey, I have a satellite phone that works here, do you want to use it? rief der Israeli von hinten. Ohhh Worte wie Musik in meinen Ohren. Doch der Guide reagierte nicht, wollte sein Gesicht wahren. Und teilte kurzum mit, dass wir doch umkehren müssten. Also nochmal durch das Nest nachtaktiver Wespen und wieder runter zum Fluss.
Auf Toilette gehen? Durst? Hunger? Alles rückte in den Hintergrund, man wollte einzig und allein das Nachtlager wiederfinden. Wie lange waren wir inzwischen unterwegs? Was wäre, wenn jemand von einer Schlange oder Spinne gebissen worden wäre. Mir hatte man gesagt, man hätte dann eine halbe Stunde bis zum Gegengift – ich garantiere nicht für die Richtigkeit dieser Aussage. Aber es war ohnehin schon beunruhigend genug, sodass das jetzt auch nichts mehr ausmachte. Das Notfallspeedboot nach Manaus braucht ca. 25 Minuten. Aber wir konnten in dem Moment ja ohnehin mit niemandem Kontakt aufnehmen.
Es hilft ja nichts…
Also blieb uns nichts anderes übrig, als weiter zu marschieren. Wir versuchten uns am Mond zu orientieren und das Boot zu suchen. Weiter, immer weiter und am besten ohne umzuknicken oder in ein Loch zu fallen oder gar alleine verloren zu gehen. Jeder versuchte, möglichst weit vorne mitzulaufen, damit man nicht aus Versehen vergessen wurde – denn der Guide schaute sich weder um, noch fragte er ob alle da wären.
Dann, endlich, nach zwei!!! Stunden sahen wir in der Ferne die lodernen Kerzen vom Nachtcamp. Erleichterung machte sich breit (und ich glaube nicht nur bei uns), dann setzte die Erschöpfung ein. Zum Glück, wir hatten es unversehrt zurück geschafft! Jetzt mussten wir nur noch die Nacht in unseren komplett durchnässten Klamotten verbringen – aber alles besser, als nachts verloren im Dschungel umherzuwandern!