San Cipriano ist anders. Seltam. Lustig. Interessant. Aber vor allem extrem kurios. In dem Dorf, gelegen im kolumbianischen Dschungel irgendwo zwischen Buenaventura und Cali, spitzen die Bewohner ihre Bleistifte mit Macheten an und fahren Motorräder auf Bahngleisen. Ja, hier ticken die Uhren eben anders.
Mit Karacho durchs Gestrüpp: Brujitas
San Cipriano kann man nur mit einem ganz besonderen Gefährt erreichen. Es nennt sich Brujita („Hexchen“) und flitzt mit bis zu 100 Stundenkilometern durch den kolumbianischen Dschungel. Wie hat man sich eine solche Brujita vorzustellen? Naja, lasst es mich so beschreiben: Ein Motorrad, das auf einer Eisenbahnschiene fährt und neben sich eine kleine Holzbank ohne Festhaltemöglichkeiten für die Passagiere hat.
Tut tuuut: Der Zug kommt
Es gibt nur ein Gleis. Kommt also eine Brujita aus der anderen Richtung, wird sich erstmal fünf Minuten gestritten, wer seine Brujita vom Gleis nimmt, an der anderen vorbeiträgt und wieder draufsetzt. Manchmal dauert das auch länger als fünf Minuten. Hier ist Sitzfleisch gefragt. Es gibt aber auch brenzligere Situationen. Und zwar fährt einmal am Tag ein Zug diese Strecke. Wann genau, das weiß man aber nicht. Wenn man Glück hat, ruft das Nachbardorf vorher einmal in San Cipriano an. Ich frage, was zu tun ist, wenn man dem Zug unterwegs begegnet. Runterspringen. Ahja. Ok. Ich hoffe einfach, dass wir dem Zug nicht begegnen.
Ankunft in San Cipriano
San Cipriano ist ein ziemlich merkwürdiges Dörfchen. Ok, Dörfchen ist übertrieben. Es ist eine Straße, mitten im Dschungel, und man hat eher das Gefühl in Afrika zu sein als in Kolumbien. Marcelle und ich haben die Hinfahrt überlebt. Auf geht’s zu unserem Hostel, das noch einer halben Baustelle gleicht. Begrüßt (wenn er denn mal spricht) wurden wir von Erwin oder Edwin oder wer weiß wem, die nuscheln hier alle übertrieben und wir entschließen uns, ihn Josh zu nennen. Nach einem kurzen Spaziergang (dauert ca. drei Minuten) durch San Cipriano kennen wir jeden, und jeder kennt uns.
Nachts schwimmen im Fluss
Wir hatten schnell neue Freunde gefunden – drei Jungs aus Bogotá, die wir später noch dort besuchen sollten. Da es bereits dunkel geworden war, schnappten wir uns ein paar Bier und machten uns auf den Weg zum Fluss. Schon nach wenigen Metern waren die Füße wieder voller Schlamm – in San Cipriano lohnt sich das Duschen wirklich nicht. Unterwegs begegenten uns zahlreiche Kinder, die entweder spielen wollten, einen bewaffneten Raubüberfall nachstellen wollten oder sich uns als Guide anboten.
Aber wir hatten unserem guten Josh ja schon zugesagt. Übrigens: Für’s Herumstrolchen im Dschungel sollte man wirklich einen Dorfbewohner mitnehmen. Drei Touris sind schon einmal nicht mehr zurückgekehrt, da sich sich wahrscheinlich verlaufen hatten.
Über Stock und Stein
Unsere Wanderung begann, nachdem wir Josh akustisch verstanden hatten wie er uns mitteilte, dass die Wanderung beginnen würde. Wir waren eine lustige Truppe – und so ging es rauf, runter, durch Flüsse und Matsch quer durch die Landschaft. Natürlich nicht, ohne dass ich mich zumindest einmal so richtig auf dem Matsch hingelegt hätte.
Zwischendurch passierten wir immer mal wieder Wasserfälle und konnten uns abkühlen. Anschließend wanderten wir weiter, schwammen wieder, und wanderten, und schwammen…
Am nächsten Tag machten wir einfach das Gleiche – ohne Wandern und ohne Schwimmen. Wir ließen uns einfach stundenlang auf großen Gummireifen flussabwärts treiben.
Ein romantischer Abschied
Die letzten Minuten in San Cipriano waren herzzerreissend. Marcelle bekam einen Heiratsantrag von einem San Ciprianer, dem durch eine seltsame Krankheit die Augen halb zugewachsen waren. Als sie nicht sofort einwilligte, versprach er ihr, einen gemeinsamen Hund zu kaufen. Und ein eigenes Haus in San Cipriano zu bauen. Als Marcelle selbst dieses unschlagbare Angebot ausschlug, zog der Romantiker seinen Joker: In San Cipriano gäbe es das schönste Silvesterfest der Welt. Ob er San Cipriano mal verlassen hätte. Nein, das hätte er bisher noch nicht.
Wir hatten es uns gerade auf der Brujita gemütlich gemacht, um unseren Heimweg nach Cali anzutreten, als ein Anruf aus dem Nachbardorf eintraf: Der Zug sei unterwegs. Die Brujita-Fahrer sagten nur: Also, wie ihr mögt. Wir können fahren, oder warten. Hmmm, das ist ja eine ganz, ganz schwierige Entscheidung. Nicht.