Wie oft kann man an einem einzigen Tag abgezockt werden? Warum hat hier jemand einen Backstein durchs Glasfenster geschmissen? Einige wenige Fragen, die man sich in Gonder stellt.
Gonder – da denken vielleicht einige an Herr der Ringe. Aber nein, die alte Hauptstadt Äthiopiens hat damits nichts zu tun. Wie lässt sich diese Stadt im Norden Äthiopiens erfassen? Eine Fragenliste.
Wie oft kann man an einem einzigen Tag abgezockt werden?
Lasst euch gesagt sein: Es gibt kein zu oft. Unser persönlicher Rekordtag war der Reisetag von Bahir Dar nach Gonder. Schon als wir aus dem Bus beim Busbahnhof stiegen, wurden wir von Tausenden Menschen umringt, die unser Gepäck aus der Hand rissen. Gonder? Going Gonder? Gonder Gonder GONDER. Ja, going Gonder und nein, ich möchte mein Gepäck gerne selbst tragen.
Noch nie habe ich solch einen Kampf um Mitfahrer erlebt – selbst nicht in Südamerika. Einer hatte unsere Taschen bereits auf einen Minibus gespannt. Wir machten vorher einen Preis aus, dem man uns vorher im Hotel genannt hatte (damit man nicht übers Ohr gehauen wird). Wir dachten, jetzt sei alles geregelt. Pustekuchen. Lektion 1: Denke nie, es sei hier irgendetwas geregelt.
Unser Bus sah nicht besonders vertrauenswürdig aus. Schon nach einem Kilometer blieb er liegen, wurde dann notdürftig wieder repariert. Auf halber Strecke wollte uns dann der Busfahrer abzocken, indem er den abgesprochenen Preis verfünffachte. Mit weißer Haut ist man hier leider ein wandelndes Dollarzeichen. Wir stritten uns mit ihm, aber die anderen 15 Männer im Bus waren auf seiner Seite…wir trafen uns in der Mitte, immer noch ein viel zu hoher Preis.
Als wir durch das Gebirge fuhren, platzte in einer Kurve plötzlich der hintere Reifen. Wir mussten warten, bis uns ein anderer Minibus einen Ersatzreifen lieh.
Das Highlight war dann, dass wir letztendlich gar nicht in Gonder ankamen, sondern zehn Kilometer vor der Stadt rausgeschmissen wurden. Mit einem Tuktuk, das unter der ganzen Last und den Schlaglöchern und Schlamm der Straßen bedrohlich schwankte, fuhren wir in die Stadt. Auch der Tuktuk Fahrer wollte uns abziehen, aber wir sind einfach gegangen.
Warum hat hier jemand einen Backstein durchs Glasfenster geschmissen?
Wenn man sich die Seite des Auswärtigen Amts ansieht, wird schnell klar, dass Gonder die Stadt ist, in der vor nicht allzu langer Zeit Handgranaten in Hotels explodierten. Unser Hotel gehörte nicht dazu, dennoch fiel dem aufmerksamen Beobachter (mir, und anscheinend nur mir…) etwas Glänzendes auf, dass hinter einer vorgezogenen Gardine im Foyer hervorlugte.
Bei näherer Betrachtung wurde klar: Die Scheibe wurde eingeworfen. Womit: Mit einem Backstein. Woher ich das wusste: Keiner hatte weder Scherben noch Backstein weggeräumt. Ich ging zum Empfang und teilte meine Entdeckung mit. Ja, wissen wir, jemand hat die Scheibe eingeschmissen im Vorbeigehen. Ach echt? Wann denn? Schon was her. Warum es keiner weggeräumt hätte. Schulterzucken. Ratlose Blicke.
Wann hört es auf zu regnen?
Mit einem Mal fing es wieder an zu schütten. Wir fanden kurzzeitigen Unterschlupf unter der Plane eines Bananenstandes, die die Besitzerin schützend über uns hielt. Es war wieder mal so weit: Alles brach zusammen – Strom, Internet, Kommunikation.
Gut, wir waren während der Regenzeit in Äthiopien unterwegs, da kann man davon ausgehen, dass es mal regnet. Aber in Gonder schien es jede Sekunde zu regnen – und was macht man die ganze Zeit, wenn nichts geht? Eine Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben ist das einzige Café der Stadt zu besuchen, das einen Generator besitzt und somit Strom und Internet (vielleicht) hat: Alliance Inn.
Einen Vorteil kann man jedoch auch nutzen: Sehenswürdigkeiten besuchen. Und zwar ganz in Ruhe, weil keine nervigen Tourguides unterwegs sind.
Warum steht hier eine Burg?
Nach einem dreistündigen Regenguss inklusive Zusammenbruch des kompletten Stromnetzes erwacht die Stadt wieder zu Leben und wir erkundeten die Burg Fasil Ghebbi, UNESCO-Weltkulturerbe.
Es waren nur wenige Leute unterwegs und so haben wir genügend Zeit, die ehemalige Residenz des äthiopischen Kaisers Fasilidas zu bewundern. Diese wurde übrigens für die Regenzeit erbaut – leider für uns nicht mehr als Unterschlupf dienlich
Mit Äthiopien verbindet man jetzt nicht unbedingt Burgen – also zumindest habe ich das vorher nicht getan. Nunja, um genau zu sein hat Fasil Ghebbi nicht nur berocke Elemente, sondern auch indische und natürlich afrikanische. Es wird sogar gemunkelt, dass der Erbauer indischer Herkunft war. Auch die jesuitischen Missionare beeinflussten den Weiterbau der Burg mit ihrem Stil.
Warum essen alle Touranbieter im gleichen Café und begegenen uns zufällig auf der Straße?
Tja, Fragen über Fragen. Ist es schon Stalking oder eher Slapstick? Da Gonder ja Ausgangspunkt für Touren in die Simien Mountains ist, laufen dementsprechend viele Menschen umher, die einen eine Tour zu selbigen verkaufen wollen. Wenn man während der Regenzeit der einzige Tourist ist, dem sie etwas verkaufen wollen, sind alle immer zufällig da, wo du bist.
Im Café, auf der Straße, im Hotel, in der Bank, im Kiosk…Wir haben tatsächlich einen kompletten Tag darauf verwendet, einmal unsere Verhandlungsskills zu verbessern und die Anbieter gegeneinander auszuspielen. Übung macht den Meister, und wenn man aufgrund des Regens eh nicht wegkann…
Anbieter 1 aß im gleichen Café wie wir, erspähte uns natürlich rein zufällig und fragte noch einmal nach dem Angebot. Anbieter 2 begegente uns natürlich auch rein zufällig erneut auf der Straße, da er rein zufällig kurzfristig einen Anruf erhalten habe, dass er die Tour doch noch günstiger anbieten könne. Anbieter 3 fuhr uns im Van auf der Straße hinterher, um uns für einen (pro zusätzlichen Schritt weg vom Van ;-)) immer günstiger werdenen Übernachtungspreis zu werben.
Ja, going Gonder. Und ja, auch vielleicht etwas going crazy.